Wie aus dem Heimathafen Chiemsee der von Ueckermünde wurde -
Ein Wessi macht sich auf nach Osten, in dem er vom Süden in den Norden törnt.
„Ihr seid ja verrückt“, das war noch der mildeste Spruch, den unsere bayerischen Segelkameraden auf Lager hatten. „Usedom, Stettiner Haff, ist bestimmt weiter als bis zum Mittelmeer – ja, wo ist das denn überhaupt? Da wollt ihr hin? Wollt ihr wirklich von Berlin aus mit dem Boot in die Ostsee?“
Wir wollen und haben es auch geschafft. Aber der Reihe nach, so wie sich´s ergab: Eine Bekannte erzählte uns voller Begeisterung, von Berlin nach Ueckermünde gezogen zu sein. Da gäb´s preiswerte Grundstücke, schönste Bootliegeplätze, traumhafte Segelreviere – neue Lebensqualität und das bezahlbar. Interressant, aber wo ist Ueckermünde, wie gross, was machen die Leute dort – spricht man da vielleicht schon polnisch?
Ein echte Herausforderung. Her mit dem Atlas, das Fremdenverkehrsamt kontaktiert: Da geht sogar eine Eisenbahn hin! Einen Strand haben die auch. Eine neue Marina, Segelclubs, Kneipen, Schiffsverbindung nach Usedom! Tierpark, Aldi und oh weh, eine hohe Arbeitslosenquote und eine dominierende Rathausmehrheit, die gar nicht den bayerischen Vorstellungen entspricht! Das Allerhöchste: Im Internet entdecken wir den Yachtclub Ueckermünde, der alle Gäste willkommen heisst, aber leider seine Webseite für Kommentare geschlossen hält. Die Lagunenstadt präsentiert sich noch attraktiver – Strand um die Ecke, alle modernen Einrichtungen. Aber wollen wir Beton ringsherum?
Nun gilt es noch, den Seeweg von Berlin nach Ueckermünde zu erkunden. Havel-Oder-Kanal, Oder, Stettin, Ziegenort, Stettiner Haff. „Ihr müsst unbedingt in Stettin den Mast stellen und wenn ihr nicht das polnische Zollboot im Haff anlauft, werdet ihr aufgebracht!“ Schöne Aussichten! Jetzt erst recht, auf nach Ueckermünde!
2007 geht´s dann los und bis zum polnischen Zollboot auch gut. Unser Diesel schiebt uns zuverlässig bis nach Ziegenort. Dann endlich, segeln, segeln, segeln. Unsere 25-Fuss-Comet zieht brav dahin. Das Zollboot wird gefunden, darüber werden wir übermütig. Der Dämpfer folgt sogleich. Eine Regenfront mit Böen 7-8 nimmt uns Sicht und Orientierung. Die bayerische Gebirgsmarine ist rat- und kurslos. Doch die Wasserwüste ist gnädig: Schwimmen da doch die gelben Grenztonnen, kurz gesteckt und gut sichtbar. Unsere funkelnagelneue Karte leitet uns auf dem gelben Tonnenstrich nach Kamminke. Ist zwar nicht Ueckernünde, aber immerhin wir kommen wo an – gerettet. Ein lausiger Hafen mit unfreundlichen Betreibern prägt den ersten Eindruck unseres Wunschzieles Haff. Nach Polen hat es uns zwar nicht verschlagen, scheinbar aber in die alte DDR. Die deutschen Wasserschupos klarieren uns ein, wir fühlen uns wie richtige Seefahrer. Und solche müssen zusammen halten, denn Stromanschlüsse sind hier Mangelware und technisch kriminell. So kommt es für uns zum wegweisenden Kontakt: Ein Segelkamerad aus Ueckermünde möchte (als Dritter) an unsere Steckdose. Nachdem wir verkuppelt sind, beschnüffeln wir uns, West/Ost – Ost/West. Viel gibt es zu erzählen, zu fragen, zu staunen. Am wertvollsten sind die Tipps des Platzhirsches aus Ueckermünde: „Kommt zum Yachtclub – nix Lagunenstadt“. Er will uns einen Liegeplatz dort reservieren. Gleich rüber fahren kann jedoch in die Hose gehen: Zwei Tage Zwangsstopp wegen übermässigem Butterfischgenusses, der uns auf den Magen (Darm) geschlagen ist.
Anschliessend geht es wohlvorbereitet los: Karte studiert, Tonnen markiert. Doch die Überraschung stellt sich sogleich nach dem Ablegen ein: Aufgelaufen in Kamminke Hafen! Nach weiterhin grosser seemännischer Leistung kommt tatsächlich der Ueckermünder Leuchtturm in Sicht. Zwar klein, aber die Erlösung. Wo ist jetzt der Yachtclub? Klar, gleich rechts rein. Rettungskreuzer, mehrere Rudel Jugendliche, Zeltlager. Resevierung? „Vom Chiemsee seid ihr? Dann ist uns klar, warum ihr den Yachtclub nicht findet“. Nach einem Orientierungstelefonat hat es dann doch geklappt. Fahnen, die Gelbe Welle, ein herrliches Gelände, rechts voraus der Yachtclub Ueckermünde. Den reservierten Liegeplatz müssen wir nicht lange suchen. Da steht schon das Empfangskommando: Hafenmeister, Clubmitglieder und die ganze Familie unseres neuen Freundes aus Ueckermünde. Wenn das kein Empfang ist, das macht Eindruck. Das Einchecken läuft locker ab.
Der erste Besuch im Hafenmeisterbüro verunsichert uns aber dann doch. Dort muss vor 20 Jahren ein Bombe eingeschlagen sein und keiner hat aufgeräumt. Die danebenliegende Jugendabteilung übertraf unsere Überraschung noch. Wo waren wir hingeraten? Auf dem Gelände trafen wir in den nächsten Tagen nur spärlich auf Clubmitglieder. Wenn überhaupt gegrüsst wurde, waren wir es meist zuerst. Kamen wir doch gerade erst von den vorlauten Berlinern, so mussten wir uns auf eine eher zurückhaltende Mentalität einstellen. In Laufe der Zeit, anscheinend nach genauerer Beobachtung, brach das Eis zwischen uns Gästen und den Eingeborenen. Das Revier, die Stadt mit Umgebung, der Club mit seiner schönen Anlage und gewonnenen Freundschaften haben ergeben, dass wir dann doch noch heimisch geworden sind.
Jetzt, im dritten Sommer, ist alles eher herzlich und freundschaftlich – Wohlfühlklima. Zwischenzeitlich erlebten wir – am besten neutral – typisches deutsches Clubleben. Der Kampf der Interressengruppen warf hohe Wellen. Die Einen wollten wohl erhalten, die Anderen erneuern. Wir beschlossen, nicht zwischen die Fronten zu geraten. Clubmitglieder wollten wir unter diesen Umständen erst mal nicht werden.
Heute, in der dritten Saison in Ueckermünde sind wir Mitglieder geworden. Wir möchten dabei sein und mithelfen, wie der Club sich modern entwickelt. Dass er das tut, hören wir in dieser Saison von fremden Segelkameraden, auch in anderen Häfen: „Wir kommen wieder“, „sehr schön hier“, „gutes freundliches Personal“, aber auch „eure Eincheckprozedur mit 1000 Zetteln ist lächerlich“. Besonders geniessen unsere Gäste (und wir) die neue Terrasse, die Bewirtschaftung der Clubmesse bereits ab Nachmittag, den Brötchenservice, die kurzen Wege in die Stadt und die neuen sanitären Anlagen.
Wir, die Bayern, wünschen uns mehr Beteiligung der Clubmitglieder an Veranstaltungen, mehr Tiefgang für unser Boot, mehr Jugend für mehr Umtrieb und Fröhlichkeit und ein Mehr an Harmonie im Club.
Wie freuen uns auf den nächsten Aufenthalt in Ueckernünde.
Rainer Wessler mit SY Casablanca aus München, im August 2009
Seefahrt tut Not - die Geschichte der 4 Himmelsrichtungen
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Re: Seefahrt tut Not - die Geschichte der 4 Himmelsrichtu
Hallo Rainer ! Heute habe ich mehr Glück mit meinem PC auf unsere neue Webseit zu kommen. Habe daher erst heute Deinen langen Artikel " Seefahrt tut Not "
mit großem Interesse gelesen. In der von Bord-zu-Bord-Unterhaltung habe ich ja schon einiges von Euch gehört, aber diese Schilderung des Segeltörns nach Uede jetzt
erst nachlesen können. Das war 2009 und wie ist es nun? Erzähle weiter, Du wurdest Mitglied und hast Dich bemüht gedanklich aus der Ferne und mit körperlichem
Einsatz am Abflussgraben zum Geleingen der saniertebn Messe aktiv beizutragen!!
Es grüßt Dich UWE J.
mit großem Interesse gelesen. In der von Bord-zu-Bord-Unterhaltung habe ich ja schon einiges von Euch gehört, aber diese Schilderung des Segeltörns nach Uede jetzt
erst nachlesen können. Das war 2009 und wie ist es nun? Erzähle weiter, Du wurdest Mitglied und hast Dich bemüht gedanklich aus der Ferne und mit körperlichem
Einsatz am Abflussgraben zum Geleingen der saniertebn Messe aktiv beizutragen!!
Es grüßt Dich UWE J.